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Deutsches Institut für Japanstudien

Venue

Yulife Center, Friedrich-Ebert-Stiftung, Tokyo, Minato-ku

Co-organizer

Friedrich-Ebert-Stiftung, Tokyo



Ausstieg aus dem Konsensmodell? Veränderungen im Personalmanagement in Japan und Deutschland (Exit from the Consensus Model? Changes in the Personnel Management System in Japan and Germany)

April 22, 1997 / 16.00-18.30

Gemeinsamer Workshop des Deutschen Instituts für Japanstudien (DIJ) Tokyo und der Friedrich-Ebert-Stiftung Tokyo



Gesprächsleitung: Dr. Michael Ehrke (FES)


Einleitungsvortrag: Dr. Daniel Dirks (DIJ)


Kommentatoren: Monika Sommer, Deutsche Botschaft Tokyo


Dr. Minoru Ito, Japan Institute of Labour



Einleitungsvortrag – Zusammenfassung


1. Die für die deutsche Öffentlichkeit überraschende Nachricht „feindlicher” Übernahmepläne der Thyssen AG durch die Firma Krupp hat erneut die Diskussion um die Zukunft des Wirtschaftsmodells deutscher Prägung angefacht. Ähnlich wie in Japan auch, ist unter diesem Modell prinzipiell eine auf gegenseitige Unterrichtung, Abstimmung und möglichst weitgehende Abgleichung der unterschiedlichen Interessen zielende (stillschweigende) Übereinkunft durch die wesentlichen Akteure im wirtschaftlichen Alltag zu verstehen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff des Konsensmodells geprägt worden; danach orientieren sich Staat, Unternehmen, Gewerkschaften und private Haushalte bei ihren Entscheidungen und Beiträgen zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung nicht ausschließlich an der Informationsfunktion der Faktorpreise, wie es die reine Marktlehre vorschreibt, sondern bemühen sich im Rahmen von Verhandlungen, die sowohl große „Leitlinien” (Beispiele: Tarifrunden) als auch kontinuierlich wiederkehrende Detaillösungen (Beispiel: innerbetriebliche Mitbestimmung) zum Ziel haben, zu einer konsensfähigen Abstimmung insbesondere über die Verteilung des Volkseinkommens zu kommen.


2. Mit den geopolitischen Veränderungen im Gefolge des Zusammenbruchs der sozialistischen Systeme in Osteuropa und der dadurch verstärkten Bewegung hin zu globalisierten Wirtschaftsstrukturen gilt das marktwirtschaftliche Modell heute als einzig denkbare Alternative. Dabei bleiben in der öffentlichen Debatte Unterschiede zwischen nationalen Besonderheiten bislang schon marktwirtschaftlich organisierter Volkswirtschaften leicht auf der Strecke; hinter der Vorstellung eines einheitlichen Modelles verbirgt sich in erster Linie dessen USamerikanische Variante mit ihrer relativ stärkeren Betonung der Kapitalinteressen, ausgedrückt als shareholder value – Orientierung. Auch in Deutschland und Japan gewinnen die Stimmen an Gewicht, die nicht zuletzt unter dem Eindruck scheinbar unaufhörlich steigender Aktienkurse an den amerikanischen Börsen fordern, unternehmerische Entscheidungen in erster Linie unter den Gesichtspunkt der Stärkung des Unternehmenswertes und der Rentabilität des verfügbaren Kapitals zu stellen. Die zunehmende Attraktivität der direkten Kapitalbeschaffung über die Anlagemärkte insbesondere für größere Unternehmen und der damit einhergehende relative Bedeutungsverlust der (Haus-/main-) Banken verstärkt diesen Trend und verringert gleichzeitig die Rolle eines der traditionellen Interessenträger am Unternehmen.


3. In dem Maße, in dem Kapitalinteressen in den Vordergrund rücken, stellt sich die Frage nach der zukünftigen Bedeutung der Gewerkschaften und der durch sie vertretenen Angestellten und Arbeitnehmer. Während die Unternehmensbelegschaften im Rahmen des „Konsensmodells” eine zentrale Leistungs- und Anspruchsgruppe darstellen, wird der Personalbereich unter shareholder value-Gesichtspunkten primär zu einem ertragsmindernden Kostenfaktor. Dies gilt insbesondere in bezug auf die relativ hohen Fixkostenanteile, die dem Kern eines „modernen” Betriebes (lean, d.h. Erzeugung variabler Produkt- und Dienstleistungspaletten in unter Umständen minimalen Losgrößen unter hohem Zeitdruck; mit anderen Worten ein optimaler Kapitalumschlag) entgegenstehen. Da auf den Faktor Arbeit nicht verzichtet werden kann, muß eine möglichst weitgehende Umwandlung fixer in variable Kosten gelingen, d.h. ein unmittelbarer Bezug zwischen Leistung (output) und Entlohnung (input) ist anzustreben. Dort, wo dies nicht gelingt, z.B. aufgrund tariflicher oder arbeitsorganisatorischer Bedingungen, müssen Lohnkosten gesenkt werden, indem die vorhandene Arbeit auf weniger Köpfe verteilt wird.


4. Das hohe Niveau der Arbeitslosigkeit in Deutschland scheint zu bestätigen, daß die Unternehmen ihre Rationalisierungsbemühungen einseitig zugunsten des Prinzips der Kapitalwertsteigerung durchführen, damit arbeitnehmerorientierte und darüberhinaus allgemein gesellschaftliche Interessen unberücksichtigt lassen und daher das Konsensmodell früherer Tage unwirksam geworden ist. Während in Japan noch kein vergleichbarer Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu beobachten ist, wird jedoch auch hierzulande verstärkt ein Ende traditioneller Beschäftigungsmuster (Senioritätsprinzipien, lebenslange Beschäftigung) gefordert. Die Diskussion berührt insbesondere die Frage neuer, individualistischer Entlohnungsformen und den größeren Einsatz „instabilerer” Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeitkräfte, Aushilfen etc.). Auch Entlassungen in größerem Umfang, so heißt es, werden sich zukünftig nicht mehr vermeiden lassen. Diese Trends schwächen im Ergebnis die Position der Arbeitnehmerseite (betriebliche Interessenvertretungen) durch die Individualisierung der Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Belegschaftsmitgliedern und rütteln damit auch hier an den Prinzipien der Konsultations- und Verhandlungsbereitschaft aller Interessengruppen (stakeholder).


5. In dieser Situation stellt sich die Frage, ob das Konsensmodell im Konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Kapitalinteressen völlig aufzugeben ist oder ob in Deutschland und Japan nicht Ansätze für „dritte Wege”, d.h. die gleichzeitige Berücksichtigung unterschiedlicher Forderungen denkbar sind und auch praktiziert werden? Ferner ist zu fragen, welche Nachteile mit einer Preisgabe dieser gesellschaftlichen Errungenschaft der Konsensorientierung verbunden sind, die letztlich auch negative Einflüsse auf die Wettbewerbs- und damit die Ertragsfähigkeit der Unternehmen haben, die sich -überspitzt formuliert- allein für ihre shareholder und gegen ihre Belegschaften entscheiden. Diese Fragen sollen im folgenden thesenartig beleuchtet werden. Eine Darstellung ausgewählter Daten und Fakten zu den einzelnen Argumenten erfolgt gesondert im Rahmen des Vortrags.


Die betriebliche Realität in Deutschland wie Japan ist (bislang) keineswegs rein an shareholder value – Interessen orientiert. Dies gilt für Deutschland in dem Maße, in dem alternative Maßnahmen der Flexibilisierung der Arbeitszeiten zum Einsatz kommen, die eine ökonomisch effizientere Nutzung des Betriebskapitals ermöglichen. In Japan haben die Unternehmen trotz langanhaltender Rezession weitgehend auf Entlassungen ihrer Stammbelegschaftsmitglieder verzichtet; statt dessen greifen sie verstärkt auf alternative Methoden der Arbeitszeitverringerung, Mitarbeiterabbau durch „natürliche Fluktuation” und zunehmend Personalentsendungen in andere Unternehmen zurück.


Ein prinzipielles Festhalten am Konsensmodell ist dabei auch ökonomisch sinnvoll, denn dieses Modell als „Vertragsgrundlage” zwischen Unternehmen und Angestellten bietet beiden Seiten hinreichend Anreize, in die Vertragsbeziehung zu investieren: Für das Unternehmen lohnt es sich insbesondere, in die langfristig angelegte Ausbildung der Mitarbeiter zu investieren, für die Arbeitnehmer lohnt sich ein intensiver, gleichzeitig auf Kooperation angelegter Arbeitseinsatz im Unternehmen, der die eigenen Karriereaussichten verbessert.


Eine Preisgabe des Konsensmodells etwa durch Rückgriff auf Entlassungen als zentrale Restrukturierungsmaßnahme bedeutet den Abbau wichtiger, strategischer Ressourcen des Unternehmen. Unter „strategischen Ressourcen” sind diejenigen Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens zu verstehen, die langfristig verfügbar („strategisch”) und gleichzeitig nur schwer durch andere imitierbar sind. Diese Definition trifft insbesondere auf die Ressourcen „Personal” und „Arbeitsorganisation” zu, sofern hier besondere Spezialkenntnisse, effektive Formen der (Team-) Zusammenarbeit und/oder Innovationssysteme etabliert sind, deren Funktionsfähigkeit eine besondere Stärke des eigenen Unternehmens ist.


Die unterschiedlichen Lösungsansätze hierzu in Deutschland (Arbeitszeitflexibilisierung) und Japan (Personaltransfers) bieten jede für sich Alternativen zur Sicherung der Ressource Personal. Untersuchungen in Deutschland zeigen, daß die Konsenspartner mit diesem Ansatz leben können; für Japan sind vergleichbare Untersuchungen selten, allerdings lassen sich plausible Überlegungen zur Vorteilhaftigkeit dieser Maßnahmen anstellen.


Eine Sicherung und Stärkung dieser Ressourcen unter Berücksichtigung der (legitimen) Kapitalinteressen muß bedeuten, den Leistungsbeitrag des Faktors Arbeit besser bestimmen zu können. Gerade im Verwaltungs- und Managementbereich (white collar) ist das jedoch eines der Grundprobleme. Neue Formen der Personalbewertung sind nur sinnvoll, wenn gleichzeitig auch die persönliche Entscheidungs- und Verantwortungskompetenz verbessert wird, d.h. wenn für den Einzelnen ein nachvollziehbarer und eindeutiger Zusammenhang zwischen eigener Leistung, Ergebnis, Bewertung und Entlohnung gesichert ist. Dies bedarf in den meisten Fällen jedoch auch erheblicher Anpassungen in der betrieblichen Arbeitsorganisation, etwa die Abflachung von innerbetrieblichen Hierarchien, die Zurverfügungstellung von Freiräumen und Kapital für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Ideen etc.


Jede Änderung im Personalbereich der Unternehmen wird daher aufgrund der engen Beziehungen zu den gegebenen Organisationsstrukturen allenfalls gradueller Art (piecemeal approach) sein können.


Es ist zu erwarten, daß sich die Diskussion um den shareholder value als aktuellem Modethema wieder beruhigen wird, vor allem dann, wenn die außerordentliche Wertsteigerung der letzten Jahre an den Aktienmärkten an Dynamik verliert und die Anleger-Erwartungen in diesem Bereich wieder auf ein Niveau zurückgestuft werden, das einen engeren Bezug zwischen der Ertragskraft der Unternehmen und ihrer Wertentwicklung darstellt.


Bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland und bei anhaltend schwierigen Eintritts- und Arbeitsbedingungen für diejenigen in Japan, die nicht zu den Stammbelegschaften zählen (in der Regel Teilzeitarbeitskräfte, Frauen, ausländische Mitarbeiter), gerät das Konsensmodell allerdings von dieser Seite her zunehmend in Bedrängnis. Eine permanente Polarisierung einer großen Zahl derer, die im Beschäftigungssystem stehen, und derjenigen, die sich außerhalb davon wiederfinden, wird sich auf Dauer unter den absehbaren demographischen (Stichworte: alternde Gesellschaft, Überlastung der Sozialsysteme) und wirtschaftlichen Bedingungen (globaler Ideen- und Innovationswettbewerb) nicht aufrechterhalten lassen.