Deutsches Institut für Japanstudien nav lang search
日本語EnglishDeutsch
Deutsches Institut für Japanstudien
DIJ Newsletter 77, Autumn 2024

Einzelheiten

2024, Deutsches Institut für Japanstudien

DIJ Mailing List

Please subscribe below to stay informed about our research activities, events & publications:

    Choose Subscription:

    = required field

    DIJ Newsletter 77, Autumn 2024

    DIJ Newsletter 77, Autumn 2024

    DIJ Newsletter 77 (full version)

    Artikel

    Waldenberger, Franz
    Catchword ōbā-tsūrizumu

    Mehr ist nicht immer besser und manchmal ist es zu viel des Guten. Nach Aufhebung der Corona bedingten Einreisebeschränkungen im Herbst 2022 und zusätzlich angefeuert durch den billigen Yen verzeichnete der Inbound-Tourismus in den letzten beiden Jahren einen rasanten Anstieg. Die Zahlen lagen 2023 zwar noch deutlich unter dem Niveau von 2019 (siehe Grafik), für 2024 zeichnet sich allerdings ein neuer Rekord ab. Bis Juli strömten 60% mehr Besucher ins Land als im Vorjahreszeitraum. Wie schon vor der Pandemie waren mit Abstand die meisten Touristen aus Asien. Während 2019 allerdings mehr als ein Drittel vom chinesischen Festland kamen, waren es 2023 nur 12%. Die Lücke wurde durch Südkorea gefüllt. Inzwischen zog China allerdings nach. Im Juli 2024 hatte es erstmals wieder den ersten Rang unter den Herkunftsregionen inne.

    Der Tourismusboom, der 2012 einsetzte, brachte Japan 2023 Nettoeinnahmen in Höhe von 5,4 Billionen Yen ein, und steuerte damit 0.9% zu den gesamtwirtschaftlichen Ausgaben bei.[1] Angesichts der demographisch bedingten Wachstumsschwäche Japans ist dies eine sehr positive Entwicklung. Allerdings gibt es auch Probleme, weil sich die Besucherströme nicht gleichmäßig im Raum und über die Zeit verteilen und Japans Infrastruktur vielerorts auf Nachfragespitzen nicht vorbereitet ist. Eine Umfrage des Beratungsunternehmens EY ergab, dass 70% der Bevölkerung zwar nicht negativ gegen Tourismus eingestellt sind, aber 50% „Overtoursim“ (ōbā-tsūrizumu) wahrnehmen, insbesondere in Kyoto, Tokyo und Nara. Noch mehr als die Überlastung der Infrastruktur stört dabei das Benehmen vieler Besucher. Der EY-Bericht schlägt auch Gegenmaßnahmen vor, die in vielen Tourismuszentren weltweit bereits zum Einsatz kommen: Gebühren bzw. höhere Eintrittsgelder, Beschränkungen der Bettenkapazitäten und die Einführung von Reservierungssystemen zur Regulierung der Besucherzahlen.

    Im internationalen Vergleich hat Japan sicherlich noch Luft nach oben. Die 25 Millionen Touristen im Jahr 2023 fallen gegenüber den 124 Millionen Einwohnern deutlich weniger ins Gewicht als die 35 Millionen Touristen in Deutschland, die sich auf 84 Millionen Einwohner verteilen, oder die 100 Millionen Touristen, mit denen 68 Millionen Franzosen 2023 zurechtkommen mussten. Japans Insellage und die größtenteils bergigen und schwer zugänglichen Landflächen schränken seine Aufnahmekapazität allerdings ein. Dennoch kann Tourismus in der Zukunft insbesondere für die Regionen außerhalb der Ballungszentren eine wichtige Rolle spielen. Dies würde sich sicherlich auch positiv auf Japans Softpower speziell in Asien auswirken. 

    [1] Eigene Berechnungen auf Basis der Zahlungsbilanzstatistik der Bank of Japan und der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Cabinet Office.



    Josef Kreiner
    In Erinnerung an Kiyonari Tadao (1933-2024)

    Am 23. Juli 2024 verstarb im Alter von 91 Jahren in Tokyo der bekannte japanische Wirtschaftswissenschaftler Kiyonari Tadao 清成忠男, seit 1972 Professor für Betriebswirtschaftslehre an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Hosei Universität in Tokyo, deren Präsident er von 1996 bis 2005 war. Im Anschluss daran wirkte er als Berater der nachfolgenden Präsidenten. Kiyonari hat die japanische Betriebswirtschaftslehre in Forschung und Lehre immens gefördert, aber auch in der Wirtschaftspolitik (Mittelstands- und Regionalförderung) Vieles bewegt. Seine Verbundenheit mit dem DIJ seit dessen Gründung ist dagegen weniger bekannt.

    Schon zu seiner Studienzeit an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Tokyo Universität hat Kiyonari großes Interesse an Deutschland entwickelt, wohl unter dem Einfluss zweier seiner Lehrer, dem bekannten Weberianer Otsuka Hisao und Matsuda Tomoo, der die Wirtschaftsgeschichte des mitteleuropäischen Raumes vertrat (später Gründungsrektor der University of Library and Information Science Tsukuba und Direktor des Japanischen Kulturinstituts Köln). Im Gegensatz zu diesen beiden verlagerte Kiyonari jedoch den Schwerpunkt seiner Forschungen auf die Betriebswirtschaft und hier vor allem des südwestdeutschen Raumes in der Gegenwart. Noch bis in die Zeit hinein als er wichtige und zeitaufwändige Positionen in der japanischen Wirtschaft und an der Hosei Universität übernahm, verbrachte er regelmäßig seinen Sommerurlaub in Bonn am Institut für Mittelstandsforschung, aber ohne jemals Kontakt zur dortigen Japanologie aufzunehmen. Sein Ansprechpartner war, soweit ich es in Erinnerung habe, Prof. Wolfgang Freiherr von Marschall.

    Da Kiyonari weder DAAD-Stipendien beantragt hatte und auch nicht von der Humboldt-Stiftung (zur Zeit von Heinrich Pfeiffer) gefördert wurde, war er nicht auf dem Schirm der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Empfänge und Partys waren sowieso nicht sein Fall. Aus diesem Grund wurde Kiyonaris Name wohl auch nicht im Zusammenhang mit der Gründung des DIJ, etwa als Mitglied des Beirates, genannt. Meine persönliche Bekanntschaft mit ihm beschränkte sich auf wenige, eher zufällige Zusammentreffen im Hause von Matsuda Tomoo, aber zu diesem Zeitpunkt lagen unsere Forschungsgebiete zu weit auseinander, als dass sich diese Kontakte weiterentwickelt hätten.

    Nach Gründung des DIJ im Herbst 1988 erhob sich sofort die Frage nach Zugang unserer wissenschaftlichen Mitarbeiter zu größeren Bibliotheken. Angesichts des beschränkten Raums und der Budgetmittel kam der Aufbau einer eigenen umfassenden und  notwendigerweise interdisziplinär ausgerichteten eigenen Institutsbibliothek nicht in Frage. Die für Nicht-Angehörige einer Universität üblicherweise nicht zugänglichen Universitätsbibliotheken blieben abweisend, aber die Hosei öffnete ihre Bibliothek am Haupt-Campus Ichigaya, nur wenige Schritte vom damaligen Sitz des DIJ, und war auf Vermittlung Kiyonaris bereit, uns jederzeit bis ins Herz ihrer Bücherbestände vordringen zu lassen. Dazu kam Kiyonaris Rat, das DIJ möge sich bei der Vereinigung der japanischen Spezialbibliotheken unter Hinweis auf unseren in Japan unikaten Sammlungsschwerpunkt von deutschsprachiger Japan-Literatur als Mitglied bewerben. Das wiederum bedeutete (und bedeutet noch immer) für das DIJ ungehinderten Zugang zu sonst kaum offenstehenden Materialbeständen.

    Kiyonaris Unterstützung des DIJ ging aber noch weiter. 1992 hatte das DIJ anlässlich des zwanzigjährigen Jahrestages der Rückkehr Okinawas in den japanischen Staatsverband eine Ausstellung von Kunst und Kunsthandwerk Ryukyus in europäischen Museen (an erster Stelle Berlin) im Kunstmuseum der Stadt Urasoe veranstaltet, die von Seiten der Wirtschaftsorganisationen Okinawas tatkräftig gefördert wurde. Kiyonari lag in seinem Interesse an der Entwicklung der mittelständischen Wirtschaft besonders die regionale Förderung am Herzen. Daraus resultierte seine Arbeit in der vom japanischen Kabinett 1972 eingerichteten Stiftung öffentlichen Rechts „Okinawa Foundation“ 沖縄財団 (später 沖縄協会), deren Präsident er von 2006 bis 2016 war. So ergab sich eine für beide Seiten fruchtbare Zusammenarbeit, die im Juli 1994 in Naha am Hauptsitz der Bank of the Ryukyus in einem Symposium gipfelte 東アジア経済圏における九州・沖縄 „Kyushu und Okinawa im ostasiatischen Wirtschaftsraum“, herausgegeben von Kiyonari, Yada Toshifumi (damals Kyushu-Univ.) und Kreiner, erschienen 1995 im Verlag Hirugi-sha, Naha, Okinawa, und in Teilen übersetzt von den DIJ-Mitarbeitern Martin Hemmert und Ralph Lützeler, erschienen als Wirtschaftliche Integration und Regionalentwicklung in Ostasien – Untersucht am Beispiel von Kyūshū und Okinawa (DIJ Miscellanea, Band 11)

    Als Präsident der Hosei Universität hat Kiyonari Aufsehen erregt, als er Hosei als einzige Privatuniversität unter zehn vom Ministerium ausgewählten Universitäten, an denen im Jahre 2000 erstmals ein COE Center of Excellence eingerichtet wurde, führte und dort das Hosei Institute for International Japanese Studies (wobei die Interdisziplinarität betont wird), etablierte. Wie weit bei diesem Projekt seine Erfahrungen mit dem DIJ entscheidend waren, sei dahingestellt. Die Kontakte rissen nicht ab, wie ein Internationales Symposium an HIJAS im März 2008 zeigte, auf dem die bahnbrechenden Arbeiten des zweiten Siebold-Sohnes Heinrich (Henry) zum ersten Mal zusammenfassend diskutiert wurden. Auch dabei war die Siebold-Ausstellung des DIJ unter anderem am Edo­ Tokyo-Museum der Stadt Tokyo Anfang 1996 wegweisend.

    In gewisser Weise übernahm die Hosei Universität nach dem Direktoratswechsel am DIJ die Ausrichtung auf Museen, als Japan­ Sammlungen und deren Erforschung nicht mehr so im Blickpunkt des DIJ blieben. Wiederum gelang es Kiyonaris als Berater des Rektors an der Hosei, das HIJAS im Jahre 2010 unter mehr als einhundert Bewerbungen und nur drei daraus bewilligten Großprojekten (neben Kyushu- und Kobe-Univ.) zur internationalen Zusammenarbeit von Universitäten und Museen im Rahmen der Japanstudien erfolgreich zu platzieren. Die Arbeiten zu Beständen buddhistischer Kunst aus Japan in europäischen Museen wurden gemeinsam mit der Japanologie Zürich durchgeführt und liegen teilweise als Datenbank JBAE vor.

    So kann man wohl berechtigt zusammenfassen, dass Kiyonari, Hosei und das DIJ auf eine fruchtbare Zusammenarbeit zurückblicken können.

    Josef Kreiner ist Professor emeritus der Universität Bonn und Gründungsdirektor des DIJ