Japanische Future Imaginaries der Extended Reality
seit Oktober 2023
Bei der Implementierung neuartiger Technologien kommt es zu Wechselwirkungen zwischen literarischer Fiktion und technologischen Zukunftsvisionen. Dies gilt insbesondere für die Frühphase technologischer Entwicklungen, da direkte Einflüsse aus der Science-Fiction-Literatur hier oft klar erkennbar sind. Dies gilt auch für große japanische Technologieunternehmen wie Sony und NTT, die zunehmend mit bekannten Sci-Fi-Autor:innen zusammenarbeiten und im Rahmen entsprechender Prototypen-Programme sogar kurze Sci-Fi-Romane auf den jeweiligen Unternehmenswebseiten veröffentlichen. Diese literarischen Kollaborationen erkunden technologischer Fortschritt und seine Auswirkungen auf die japanische Gesellschaft und implizieren die diesbezügliche Haltung des jeweiligen Unternehmens.
Das Projekt analysiert diese Verbindung zwischen Sci-Fi-Erzählungen und technologischer Innovation, zwischen fiktionalen Texten und nonfiktionaler Zukunftsgestaltung, auf der theoretischen Grundlage der Sociotechnical Imaginaries bzw. Future Imaginaries. Sociotechnical Imaginaries nach Sheila Jasanoff sind “collectively held, institutionally stabilized, and publicly performed visions of desirable futures, animated by shared understandings of forms of social life and social order attainable through, and supportive of, advances in S&T [science and technology]”. Es handelt sich also um technologie- und wissenschaftsbezogenes Storytelling, das die Grenzen zwischen faktischen Prognosen und idealisierten Hoffnungen und Erwartungen verschwimmen lässt. Von der Politik sowie zunehmend auch von großen Technologieunternehmen wird es instrumentalisiert, um die öffentliche Wahrnehmung und Akzeptanz in Hinblick auf neue Technologien wie beispielsweise Extended Reality (XR) zu steuern.
Unter dem Überbegriff der Extended Reality sind sowohl die vollimmersive Virtual Reality (VR) als auch die teilimmersive Augmented Reality (AR) zusammengefasst. Während in Japan seit den 1990er-Jahren eine VR-bezogene Forschungstradition existiert, wurde AR bislang kaum thematisiert. An dieser Forschungslücke setzt das Projekt an. Untersucht wird, inwiefern sich die Zusammenarbeit mit großen Technologieunternehmen auf die Arbeit japanischer Science-Fiction-Autoren auswirkt, welche Zusammenhänge zwischen XR-bezogenen fiktionalen Narrativen und nonfiktionalen Imaginaries bestehen und ob diesbezüglich besondere Charakteristiken von japanischen Narrativen und Imaginaries erkennbar sind. Diesen Fragen wird anhand einer quantitativ-qualitativen Analyse unterschiedlicher, multimodaler Korpustypen mit thematischem XR-Bezug auf den Grund gegangen, wobei sowohl ein auf Narrative fokussiertes Korpus fiktionaler Sci-Fi-Romane als auch ein auf Imaginaries bezogenes Korpus nonfiktionaler Nachrichtenartikel und Pressemitteilungen berücksichtigt werden. Auf diese Weise wird XR als ein Aspekt einer möglichen Zukunft erforscht, die – im Spannungsfeld zwischen technologiebasierten Utopievorstellungen und den eher ernüchternden Problemen und Herausforderungen, mit denen sich Japans Gegenwartsgesellschaft konfrontiert sieht – sowohl fiktional als auch nonfiktional entworfen wird.