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Veranstaltungsort
German Institute for Japanese Studies
Co-organizer
Prof. Dr. Knut W. Nörr, Universität Tübingen (Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des DIJ)
Kontinuität und Fremdbestimmung: Zum Einfluß der Besatzungsmächte auf die deutsche und japanische Rechtsordnung 1945 bis 1950
6. April - 9. April 1994
Eines der zentralen Forschungsvorhaben, denen sich das Deutsche Institut für Japanstudien widmet, bildet der Wertewandel in der Gegenwart Japans. Wenn man das Thema des Wertewandels ins Auge faßt und sich nicht von einem irgendwie gearteten theoretischen Vorverständnis leiten läßt, so kann man leicht feststellen、daß der Wertewandel in jeder Kultur einen Vorgang darstellt, der im Laufe der Geschichte gewissermaβen stoßweise vor sich gegangen ist und der bisweilen sogar zum Kriterium für die Periodisierung der Geschichte einer bestimmten Kultur oder eines bestimmten Landes erhoben wurde.
Der Wertewandel ist natürlich ein Aspekt, den nicht nur eine einzige Wissenschaftsdisziplin ins Auge fassen wird. Bei der Durchlässigkeit modernen Disziplinverständnisses bot sich in unserem Zusammenhang an, sich auch der Rechtsordnung Japans zuzuwenden und das Augenmerk auf solche rechtlichen Erscheinungen zu richten, die zum Verständnis der Wertvorstellungen und der Wertverschiebungen im heutigen Japan beitragen können. Niemand wird bestreiten, daß in dieser Hinsicht den Jahren nach der Kapitulation Japans im Hinblick auf den Einfluβ vor allem US-amerikanischer Wertvorstellungen eine hervorragende Rolle zukommt. Die Jahre nach 1945 bilden einen Einschnitt, der in seinen Wirkungen bis in die Gegenwart hineinreicht. Um für diese Fragestellungen sozusagen die Legitimation eines deutschen Instituts und deutscher Wissenschaftler zu untermauern, wurde der Entschluβ zu einer die deutsche Rechtsentwicklung einschlieβenden, also rechtsvergleichenden Themenstellung gefaßt. (Solche Legitimationsüberlegungen spielen bekanntlich in den wissenschaftlichen Beziehungen gerade mit Japan keine unwichtige Rolle.)
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß es frappierende Vergleichbarkeiten mit der japanischen geschichtlichen Entwicklung gibt, Vergleichbarkeiten, denen aus deutscher Sicht auβerhalb Europas keine Parallele zur Seite gestellt werden kann. Es ist nur an den bekannten Modernisierungsverzug der beiden Nationen zu erinnern. Nach den Maßstäben westlichen Demokratie- und Freiheitsverständnisses wiesen beide Länder in der Wilhelminischen Zeit bzw. in der Meiji-Ära gewisse Defizite auf; in beiden Ländern versuchte man später (freilich mit unterschiedlicher Intensität) aufzuholen, doch wurde der „Schulterschluß“ mit den politischen Ideen beiderseits des Atlantiks in der Weimarer Republik und in der Taisho-Zeit alsbald abrupt abgebrochen. Die Parallelen setzten sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort: Nicht nur der Imperialismus und Militarismus, sondern auch das undemokratische politische System wurde in beiden Ländern von den Besatzungsmächten als eine zu bekämpfende und überwindende Ursache des historischen Verhaltens der beiden Nationen angesehen.
Dies alles ist bekannt. Aber nicht alle Disziplinen haben diese und andere Vergleichbarkeiten zwischen der japanischen und deutschen Situation schon aufgeschlüsselt und lege artis entwickelt. Während etwa die Geschichts-, Politik- und Sozialwissenschaften sich dieses Phänomens schon angenommen haben und hierbei ihr Augenmerk auch auf die Wieder- oder Neuerrichtung der soziopolitischen Ordnung nach den Kapitulationen 1945 richteten, ist die Nachkriegszeit im Hinblick auf die Entwicklungen der beiden Rechtsordnungen – übrigens nicht nur rechtsvergleichend, sondern auch je für sich – in ihren Zusammenhängen noch nicht in vollem Umfang gewürdigt worden. Natürlich gibt es überall hervorragende Einzeluntersuchungen und Einzelanalysen, aber zu einem Gesamtbild haben sie sich noch nicht geformt. Man muß feststellen, daß in dieser Hinsicht sowohl auf deutscher als auch auf japanischer Seite die Rechtswissenschaft, ob sie nun primär historisch oder vergleichend vorgeht, mit anderen Disziplinen nicht Schritt gehalten hat.
Bei der Auswahl der Themen, die von deutschen und japanischen Rechtswissenschaftlern gemeinsam vorgenommen wurde, stand der Gesichtspunkt der Vergleichbarkeit im Vordergrund. Es wurde daher der Schwerpunkt auf solche Themen gelegt, die in beiden Ländern Kontinuitäten und Fremdeinflüsse widerspiegeln, an denen sich also Gemeinsamkeiten und Unterschiede in dem Zusammenspiel von eigener Tradition und exogenen Einflüssen besonders deutlich ablesen lassen. Das schließt nicht aus, daß das eine oder andere Thema nur für die deutsche oder nur die japanische Rechtsentwicklung eine Rolle spielt; solche Themen spiegeln dann die spezifischen politischen, sozialen oder rechtlichen Verhältnisse des betreffenden Landes wider.
Vorträge
Tag 1 6. April (Mittwoch)
Einführung: Von der Halbfeudalität zur Demokratie
Murakami Jun’ichi, Tōin Gakuen University Yokohama
Kontinuität und Wandel in der Rechtsordnung vor und nach 1945
Bernhard Diestelkamp, Universität Frankfurt
Wandlungen der Besatzungspolitik
Horst Möller, Institut für Zeitgeschichte München
Iokibe Makoto, Kobe University
Rechtsprobleme der Kriegsverbrecherprozesse
Gerhard Werle, Humboldt-Universität Berlin
Miyazawa Kōichi, Keiō University Tōkyō
Selbstverwaltung (Länder, Präfekturen, Kommunen)
Adolf Birke, Deutsches Historisches Institut London
Shirafuji Hiroyuki, Senshū University Tōkyō
Tag 2 7. April (Donnerstag)
Der öffentliche Dienst
Hans Hattenhauer, Universität Kiel
Ishikawa Toshiyuki, Chūō University, Tokyo
Gewerkschaften und Arbeitsrecht
Wilhelm Rütten, Universität Bonn
Hanami Tadashi, Sophia University, Tokyo
Das Eigentumsproblem (Bodenreform; Sozialisierung)
Jürgen Weitzel, Universität Frankfurt
Tayama Teruaki, Waseda university Tōkyō
Entflechtung; Antimonopolrecht
Wernhard Möschel, Universität Tübingen
Shōda Akira, Sophia University, Tōkyō
Tag 3 8. April (Freitag)
Erziehung und Schule
Armin Dittmann, Universität Stuttgart-Hohenheim
Tsuchimochi Hōichi, Tōyō Eiwa Womens University, Yokohama
Richterliche Verfassungskontrolle
Ernst Gottfried Mahrenholz, ehem. Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe
Shiyaka Masanori, Kyōto University
Entnazifizierung
Walter Pauli, Universität Frankfurt
Zusammenfassung
Knut Wolfgang Nörr, Universität Tübingen
Kitagawa Zentarō, Kyōto University
Familienrechtsreform
Toshitani Nobuyoshi, Ochanomizu Womens University, Tōkyō