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Deutsches Institut für Japanstudien


Anspruch und Realität von Bildungsreformen in Japan

25. Oktober 1999

Susanne Kreitz-Sandberg

Nachdem in der Meiji-Zeit ein modernes Bildungssystem in Japan geschaffen worden war und dieses nach dem Zweiten Weltkrieg vollkommen umstrukturiert wurde, ertönt seit den 60er Jahren immer wieder der Ruf nach einer „dritten Bildungsreform“. De facto wurden in regelmäßigen Abständen zwar Reformen durchgeführt, deren geringe Tragweite und Durchschlagskraft wird jedoch genauso häufig beklagt. Dem früheren Premierminister Nakasone zufolge war diese mangelnde Umsetzungsfähigkeit darauf zurückzuführen, daß die Reformen vom Kultusministerium initiiert wurden. Deshalb nahm Nakasone die Reformen von 1984 bis 1987 direkt in seinen Verantwortungsbereich als Premierminister. Doch auch diese Reformen verfehlten laut ihren Kritikern ihre zentrale Ziele. Eine neue Initiative zur Bildungsreform ist seit 1996 in Vorbereitung, konkrete Maßnahmen sollen bis zum Jahr 2002 umgesetzt werden. Bei einer differenzierten Betrachtung der sukzessiven Reforminitiativen fällt auf, daß sie – obwohl sie sich in Bezug auf die Organisation und die aktuellen Zielsetzungen unterschieden – über die Dekaden eine hohe Übereinstimmung bei zentralen Anliegen aufwiesen, wie z.B. der Notwendigkeit von Diversifizierungen im Lehrplan oder von strukturellem Wandel des Bildungssystems. Der DIJ Social Science Workshop „Anspruch und Realität von Bildungsreformen in Japan“ untersuchte die Implementation der Reformen der 80er und 90er Jahre im Rahmen von zwei Themenschwerpunkten.


Der erste Themenblock befaßte sich mit den Ursprüngen, den Zielen und der Praxis der Reformen des Sekundarschulwesen. Susanne Kreitz-Sandberg (DIJ) stellte die aktuell geplanten Reformen im Überblick dar, um deren Stellenwert im Vergleich zu früheren Reformen im modernen Japan einzuschätzen. Der Vortrag widmete sich insbesondere den Auswirkungen der Reformen auf das Leben der Jugendlichen und auf den strukturellen Wandel der Jugendphase. Claude Lévi Alvarès (Universität Hiroshima) referierte über die Umsetzung der Nakasone Reformen in von ihm untersuchten Mittelschulen und konstatierte, daß viele der zentral geplanten Reformen regional spezifisch nur punktuell umgesetzt werden.

Die Vorträge im zweiten Themenblock beschäftigten sich mit den Inhalten des Geschichtsunterrichts. Christopher Barnard (Teikyō Universität) legte linguistische Kriterien an Schulbücher aus dem Jahr 1995 an, um zu untersuchen, wie Ereignisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg sprachlich präsentiert werden. Es stellte dabei eine Vielfalt von Kontinuitäten der heutigen Darstellung mit sprachlichen Mustern der Vergangenheit fest.  Der Vortrag von Julian Dierkes (Princeton Universität/DIJ) überprüfte, inwiefern internationale Entwicklungen im Inhalt vom Geschichtsunterricht auch für den japanischen Unterricht gültig sind. Dabei warf er die Frage auf, warum die Inhalte der japanischen Schulbücher dem internationalen Trend entgegenlaufen und inwieweit dies mit Professionalisierungsprozessen, wie beispielsweise mit Verantwortlichkeiten bei der Lehrbuchpublikation, im Zusammenhang steht.

Sowohl in ihren Vorträgen als auch in der darauffolgenden Diskussion kamen Barnard und Dierkes übereinstimmend zu dem Schluß, daß im Inhalt von Schulbüchern für den Geschichtsunterricht kaum Veränderungen zu verzeichnen sind. Hingegen stellten Kreitz-Sandberg und Lévi Alvarès fest, daß in sukzessiven Reformrunden oft ähnliche Ziele verfolgt werden, wie z.B. in Hinblick auf zunehmende Wahlmöglichkeiten, die Schulen und Schülern zugestanden werden sollen. Aufgrund des sehr langsamen Wandels zeichnen sich Ergebnisse somit erst langfristig ab.