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Deutsches Institut für Japanstudien
© Tokyo Metropolitan Police Department

oben: Poster des Tokyo Metropolitan Police Departments, das Fahrradfahrer zum Tragen von Helmen zu ermutigen versucht (©TMPD)

rechts: Broschüre und Poster der Tokyo Metropolitan Government (links), des Tokyo Metropolitan Police Departments (rechts) und Nachrichtenbericht zur ‚doryoku gimu‘ im TV-Sender TBS (Broschüre ©TMG, Poster ©TMPD, Screenshot ©TBS)

Aktueller Begriff doryoku gimu

22. September 2023, von Franz Waldenberger

Der Begriff „doryoku gimu“ 努力義務 ist nicht neu, aber er verwirrt eine im deutschen Rechtsverständnis befangene Person doch immer wieder. Dieses Mal lieferte die Einführung der Fahrradhelmpflicht zum 1. April 2023 den Anlass. Aber das ist schon ungenau formuliert. Es besteht nämlich gar keine Pflicht an sich („gimu“), sondern lediglich die Pflicht, sich zu bemühen („doryoku“). Wie soll man das verstehen? Man stelle sich vor, ein Polizist stoppt einen helmlosen Fahrradfahrer und weist ihn auf die neue Rechtslage hin. Dieser erklärt dann, dass er sich bemüht habe. Aber was soll das heißen? Keinen passenden Helm gefunden, eine Kopfhautallergie, nicht genug Geld, keine Zeit? Nein, soweit wird es gar nicht kommen, denn „doryoku gimu“ ist eine Vorschrift ohne Sanktionsregelung, sogenanntes soft law, also einfach nur eine Bitte sich vernünftig zu verhalten. Das passt in das Bild des japanischen Staates, der nur ungern sein Machtmonopol einsetzt. Vielmehr setzt er auf die Einsicht seiner Bevölkerung und dabei nicht zuletzt auch auf sozialen Druck. Allerdings funktioniert das doch nicht immer. Denn seit der Einführung der Helmpflicht bemühen sich außer den Polizisten, die nun mit Helm auf dem Fahrrad unterwegs sind, nur Wenige der Pflicht Folge zu leisten.


Auf Japans „sanfte Exekutive“ trifft man in vielen Regelungsbereichen. Im japanischen Kartellrecht beispielsweise wurden Verstöße bis in die 1970er Jahre hinein nur mit einer öffentlichen Rüge, aber nicht mit einem Bußgeld geahndet. In der Gleichstellungspolitik dominierte  – anstelle von gesetzlichen Quotenregelungen oder Diskriminierungsverboten – ebenfalls lange der Geist der „doryoku gimu“, wie DIJ-Alumnus Dan Tidten 2012 in seinem Buch Inter Pares. Gleichheitsorientierte Politiken in Japan (DIJ Monographienreihe, Bd. 50) zeigt. Auch die eher sanften Maßnahmen der japanischen Regierung in der Corona-Pandemie fügen sich hier ein. Der US-amerikanische Rechtswissenschaftler John Own Haley argumentiert in Authority Without Power (Oxford University Press 1991), dass der Verzicht auf strenge Sanktionen in Japan historisch weit zurückreicht und möglich sei, weil es auf Konsens basierende informelle soziale Kontrollmechanismen gäbe.

Aber Japans Exekutive kann auch anders. Dies sollte vor fünf Jahren der ehemalige CEO von Renault-Nissan-Mitsubishi, Carlos Ghosn, erfahren. Für Vorwürfe der Verschleierung von Einkommen und der Veruntreuung von Unternehmensgeldern, die andernorts möglicherweise keine strafrechtlichen Folgen gehabt hätten, geriet er im November 2018 in die Mühlen der japanischen Staatsanwaltschaft. Getrieben durch die Furcht vor einem unfairen Prozess und einem drakonischen Strafmaß gelang ihm auf spektakuläre Art und Weise im Dezember 2019 die Flucht in den Libanon, wo er neben Brasilien und Frankreich eine Staatsbürgerschaft besitzt.